Instant Recognition

New York ist in den frühen 1980er Jahren das Epizentrum der Graffiti- und Street Art-Szenen, von dem eine globale Kulturrevolution ausgeht. Mitten drin ist der Schweizer Kunsthistoriker und Jurist Thomas Christ mit seiner Kamera.

Der Basler folgt den bemalten Subways in die Bronx, um sie zu fotografieren und lernt dort junge Sprayer kennen, die den prekären Verhältnissen entfliehen wollen: Sie schliessen sich zu kriminellen Banden zusammen, die jedoch nicht nach Geld sondern nach Ruhm streben. Die präzisen Bilder und seine luziden Überlegungen zu den Hintergründen illegaler Graffiti präsentiert Christ nach seiner Rückkehr in der Publikation «Subway Graffiti» (1984) und in einer Ausstellung im Basler Kunstgewerbemuseum. So ist er einer der wenigen, die den Pionieren der Schweizer Hip-Hop-Szene Anschauungsmaterial liefern.

Kurz darauf setzt Christ sich in der Folgepublikation «Urban Graffiti» (1987) auch mit dem Schaffen von Richard Hambleton und Keith Haring auseinander und gehört damit zu den ersten, die sich mit Verwandtschaft und Differenz von Graffiti und Street Art befassen: Im Gegensatz zum Subway Graffiti erfolgt die künstlerische Aneignung des öffentlichen Raums hier im Wissen um das Betriebssystem Kunst.

Eine neue Publikation fasst diese beiden Zeitdokumente über eine entscheidende Hochphase von Graffiti und Street Art in New York in einem Band zusammen und erweitert sie. «Instant Recognition» beinhaltet «Subway Graffiti» und «Urban Graffiti», ergänzt um noch nie gesehene Bilder und Dokumente aus dem Privatarchiv von Thomas Christ. In einem neuen Text und einem Interview blickt Christ auf die damaligen Ereignisse zurück und erzählt von seinen Erinnerungen und Eindrücken

In einem neuen Text und einem Interview blickt Christ im Buch auf die damaligen Ereignisse zurück und erzählt von seinen Erinnerungen und Eindrücken.

Wir haben für euch hier einige Auszüge aus dem Interview. 

Sie waren gewissermassen zu einem ‚idealen‘ Zeitpunkt in New York. Zuvor waren die Graffiti stilistisch noch nicht so ausgereift, später wurde dann die Repression noch grösser.

Genau! Ich war im richtigen Moment am richtigen Ort. Wie Sie sagen, war der Stil vorher noch etwas ungelenk. Dann gab es einen Höhepunkt mit grafischen Meisterleistungen, mit 3D-Effekten, raffinierten Fill-ins, Droppings and Outlines. Und zugleich verstärkte sich nicht nur der Kampf, mit der Polizei und der MTA, sondern auch unter den Gangs. Es gab bald zu viele Gangs, die sich gegenseitig auf die Füsse traten.

«Ein Jugendlicher hat mir gleich gesagt: Du bist am falschen Platz hier»

Sie sind also entgegen aller Warnungen mit Ihrer Kamera in die Bronx gefahren. Wie kam es zum ersten Kontakt mit Sprayern? Wurden Sie angesprochen?

Ja, ein Jugendlicher hat mir gleich gesagt: Du bist am falschen Platz hier. Nach kurzer Skepsis wurde aber klar, dass ich ein Sympathisant der Szene war und vor allem wurde klar, dass ich für die Anliegen der Sprayer Verständnis hatte.

Haben die Sprayer damals auch selber fotografiert oder ging es auch darum, von Ihnen Bilder zu bekommen?

Für sie war es primär attraktiv und spannend, dass sich jemand aus anderen ‚Aussen-Welt’ für ihre Manifestationen interessierte. Sie hatten selber nie Kameras dabei; sie kamen meist ja auch aus ärmlichen Verhältnissen. 

Hatten Sie das Gefühl, dass es auch darum ging, aus diesem ‚Elend’ rauszukommen? 

Absolut. Sie wollten, wie alle Jugendlichen, Achtung, Respekt und Bekanntheit – und natürlich materielle Unabhängigkeit. Das liesse sich auf verschiedene Art erreichen. Sie wollten das mit Farbe und Sichtbarkeit auf einem Subway-Wagen erlangen.

«Sie wollten, wie alle Jugendlichen, Achtung, Respekt und Bekanntheit»

«Graffiti ist Selbstdarstellung und Überlebenskampf in einem.» Können Sie das erläutern?

Das Einmalige und Auffällige dieser Bewegung ist gerade, dass es sich nicht primär um Kunstwerke eines intellektuellen oder gar akademisch geschulten Künstlers handelt, sondern, wie erwähnt, um einen Aufschrei einer sozial unterprivilegierten Schicht einer heterogenen, stark ghettoisierten Gesellschaft.

Interview mit Thomas Christ: Rémi Jaccard

400 Seiten, 28x24cm. Diverse Texte und Interviews (nur auf Englisch). 

Bilder und Texte: Thomas Christ. Publiziert von Thierry Furger, Rémi Jaccard und Nonstop Publishing 

Buch in unserem Online Shop erhältlich.

Eines der ikonischen Fotos des Buches gibts hier auf einem T-Shirt – mit aufwändigem sechsfarbigem handgedruckten Siebdruck auf auf der Front eines fair produzierten schwarzen T-Shirts aus Bio-Baumwolle.

June 16, 2023. Layup News. Keine Kommentare.

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